Gedruckt zu Ursel

Zensur und Kontrolle

Zunächst richtet sich eine reichsrechtlich begründete Zensur im Druckwesen gegen die Schriften Martin Luthers. Bereits auf dem Reichstag in Worms, im Edikt vom 8.Mai 1521, heißt es: „Ferner gebieten wir euch allen und jedem Einzelnen unter Strafandrohung, dass euer keiner des obgenannten Martin Luthers Schriften … die in Latein und Deutsch oder in ander sprach bisher durch ine gemacht sein oder hinfür gemacht werden… die von einem offenbaren, hartnäckigen Ketzer ausgegangen kaufe, verkaufe, lese, behalte, abschreibe oder drucken lasse … damit die Christgläubigen nit in größere Irrsaal des Glaubens, Lebens und guter Sitten fallen.“
Luther in Worms
Am 18. April 1521 bekannte sich Martin Luther zu seinen Schriften. Am 8. Mai wurde die Verbreitung seiner Werke verboten

In den folgenden Jahren differenzieren sich die Bestimmungen, die bisher weithin missachtet werden. Auf dem Reichstag zu Speyer 1570 wird in § 155 des Abschieds verordnet: „Darauf setzen, ordnen und wollen wir, daß hinfüro im gantzen Römischen Reich Buchdruckereyen an keine andere Oerter, dann in den Städten, da Churfürsten und Fürsten ihre gewöhnliche Hofhaltung haben, oder da Universitates studiorum gehalten, oder in ansehnlichen Reichs-Städten verstattet, aber sonsten alle Winkel-Druckereien stracks abgeschafft werden sollen.“ „Zum vierten: Soll auch keiner etwas zu drucken Macht haben, das nicht zuvor von seiner Obrigkeit ersehen, und also zum drucken ihm erlaubt wäre. Zum fünfften soll derselbe alsdann des Dichters oder Authoris, gleichfalls seinen eigenen Namen und Zunamen, die Stadt und Jahrzahl dazu setzen.“

Nach dieser Regelung war die Druckerei in Oberursel eine unzulässige Einrichtung, eine sogenannte „Winkel-Druckerei“, denn die genannten Voraussetzungen fehlten. Nur die zentrale Bedeutung von Frankfurt als Buchhandelsstadt deckte den Raum für die Druckerei im nahen Oberursel, aber auch die lückenhafte Umsetzung der gesetzlichen Regelungen. Spuren in den wenigen überlieferten Dokumenten in Beständen des Instituts für Stadtgeschichte in Frankfurt erlauben den Schluss, dass dem Rat eine solche Druckerei außerhalb seiner Kompetenz, aber nahe der Stadt durchaus recht war.

Wenn zum Beispiel im Bürgermeisterbuch am 10.Juni 1557 [Bl.30r] von den „etlich bücher in sacris von frembden orten herkommen zu besichtigen“ dem Peter Braubach nur zwei zu drucken erlaubt werden, „aber der andern Büchlein halben sein begern abgeschlagen wird“ so geschah das, um Streit mit Gruppen anderer Meinungen zu vermeiden. Schließlich erschienen die Drucke 2 Monate später auf der Messe mit dem Druckort Vrsellis. Der Rat wusste das, aber er konnte bei Beschwerden jegliche Zuständigkeit zurückweisen.
Eintrag im Bürgermeisterbuch
Eintrag im Bürgermeisterbuch von Frankfurt mit der Zurückweisung von Anträgen des Braubach auf Druckerlaubnis [IfS Ffm. Bgm.B. 1557, Bl. 30r]

Drei Berichte über die Befragung von Buchdruckern, Buchhändlern und Buchführern, die auf den Frankfurter Messen vertreten waren, geben einen Überblick über Orte und Personen. In allen werden Ursel und Nicolaus Henricus genannt. Am 14. Sept. 1569 ist Ursel eine von 25 Städten und Henricus einer von 86 Druckern. Es heißt kurz: “Niclaß Heinrich, Ursel bei Künigstein“. Die nächste Befragung durch die kaiserliche Bücherkommission, beauftragt durch Kaiser Rudolf II., fand statt während der Fastenmesse 1579. Da erscheint „Ursell. Niclauß Hainrich : Truckt, vndt verkaufft vnd kaufft.“ Diesmal konnte er seinen handgeschriebenen Katalog vorlegen, der im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien dem Bericht beiliegt.

Kataloge
'Catalogus Librorum Nicolai Henrici Vrsellanensis' der Bücherkommission an der Fastenmesse 1579 in Frankfurt vorgelegt. [Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, RHR, Bücherkommission im Reich, Fasz.1 Bl. 34 r+v.]

Henricus führt, vermutlich in eigener Handschrift, 6 Titel in lateinischer und 17 in deutscher Sprache auf. Nicht nur wegen der besseren Lesbarkeit, sondern auch wegen des Hinweises auf den originalen Druck, folgen hier die Titel in Nachschrift:

Titel UD-Nr
Promptuarium sacrosanctum Christophori Obenhin UD 150
Postilla Ioannis Brentij latine UD 115
Postilla latine Ioannis Wigandi UD 089
Postilla latine Arsatij Sehofferi UD 043
De Mystica manducatione Matth. Flacij Illyrici UD 137
Hystoria Manichaeorum Cyriaci Spangenbergij UD 159

Deudsche bücher

Auslegung des propheten Daniels Georgij Nigrini UD 135
Auslegung der offenbarung Ioannis Georgij Nigrini UD 133
Postilla deudsch Ioannis Wigandi UD 088
Postilla deudsch Simonis Musaei UD 145
Catechismus deudsch Cyriaci Spangenbergij UD 123
Spiegel der Hellen Christophori Irenaei UD 162
Prophezeyung Lutheri Ioannis Lappaei UD 155
klein corpus Matthaei Iudicis UD 157
Bericht von der pestilenz Michael Eychlers UD 154
De poenitentia Dauidis Cyriaci Spangenbergij UD 469Z
Einfeltiger bericht des Catechismi Lutheri Matth. Flacij Illyrici UD 151
Selentrost Leonhard Wörners UD 098
Von Wunderzeichen Christophori Stymmelij UD 149
Von der rechten alten Catholischen kirchen Geogij Nigrini UD 146
Von ordentlicher Wahl Georgij Nigrini UD 132
Musterung des Vortrabs Caspar Francken Georgij Nigrini UD 136
Zwo predigten vom Fischzug Michael Eychlers UD 144
Wenn dieses Dokument auch ein interessantes Licht auf die Tätigkeit des Urseler Druckers wirft, so tauchen gleichzeitig weitere Fragen auf: Nach welchen Gesichtspunkten wählt er die aufgeführten Werke aus? Es handelt sich ja nicht um einen gedruckten Katalog für ein Verkaufsangebot, sondern er ist speziell für die Kommission erstellt. Auf welche Fragen will er eine Antwort geben? Hat er diese Drucke, deren Erscheinungsjahr bis zu 10 Jahre zurückliegt, noch alle auf Lager? Die Fragen müssen ohne Antwort bleiben. Eines aber ist gewiß: Henricus stellt sich der Herausforderung durch die kaiserliche Bücherkommission.

Diese Bereitschaft ist aber bei der nächsten Befragung während der Herbstmesse des gleichen Jahres nicht mehr zu erkennen. Im Protokoll wird er zwar in einem Zuge mit Paris und Venedig registriert, aber der Text spiegelt deutlich die Weigerung zu jeder Kooperation:
„Ursell bey Franckfurt: Niclas Heinrich, Drucker, hat kein Privilegium, sagt sein Bücher werden zu Königstein examiniert, hat kein Vrkunth noch Catalogum. Ist ein tauber idiota.“ [Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, RHR Bücherkommission im Reich, Fasc. 1, Bl.26r]

Wie bereits am Ende des vorigen Abschnitts gesagt, ist er der einzige unter 100 befragten Druckern, bei dem eine Bemerkung zur Person angefügt ist. Nicolaus Henricus wird als „unbelehrbar“ charakterisiert, so wie die meisten seiner Autoren, die als rechthaberische lutherische Theologen und Eiferer einzuordnen sind. Außerdem ist zu bemerken, dass im spätmittelalterlichen Latein "idiota" auch den Laien bezeichnet, der Meinungen über Gott und die Welt hat, ohne Theologie studiert zu haben.
Befragungsprotokoll der Bücherkommission
Nennung von Ursell im Protokoll der Befragung durch die Bücherkommission an der Herbstmesse 1579

Für die Rechtsstreitigkeiten zwischen Teilnehmern an der Buchmesse war der Rat der Stadt Frankfurt zuständig. Hier trafen sich die Vertreter von Obrigkeiten, die die Beschlagnahme von „Schmähschriften“ forderten und Buchhändler, Drucker und Autoren, die die Freigabe sichergestellter Drucke erreichen wollten und Kostenerstattung verlangten. In einigen Fällen ist auch der Urseler Drucker involviert.
Ein Beispiel, das im IfS. Frankfurt unter „Buchdruck und Zensur“ Fasz. 19 dokumentiert ist, betrifft die „Verhandlungen mit Pfalzgraf Johann Casimir, Administrator der Kurpfalz und Pfalzgraf Georg Hans, betr. einer Streitschrift des letzteren, die in Oberursel gedruckt wurde und von Hans Schwind in Frankfurt vertrieben werden sollte.“ (2. Januar - 30. März 1591)

Nach Aussage des Klagenden, Kurfürst Johann Casimir, hat sein Vetter Georg Hans, Pfalzgraf zu Veldentz, wegen einer „unbefugten Erbforderung“ in Oberursel eine Schrift drucken lassen. Der Rat soll von dem Drucker zu Vrsell und dem Frankfurter Bürger Hans Schwind unverzüglich aufgrund der Reichsconstitutionen die heimlich gedruckten Exemplare einziehen [2.Jan.1591]. Bereits im Dezember 1590 hatte der Kläger dem Erzbischoff in Mainz geschrieben und darauf aufmerksam gemacht: „das solche schrifften in Euer Churfürstlichen Gnaden gebiet der Grafschaft Königstein zu Vrsel gedruckt werden sollen. Zur Verhütung großer Weitleuffigkeit und Verbitterung soll solch parteiisches Werk bei dem Buchtrucker zu Vrßel abgeschafft und gentzlich eingestellt werde. Alle Exemplare und das gantze Werk, gedrucktes und ungedrucktes soll dem Drucker abgenommen und nach Heidelberg geschickt werden.“

Der Mainzer Kurfürst Wolfgang bestätigt, dass es dem Drucker noch einmal schriftlich verboten worden ist „Hinfürter einige schrifften oder tractätlein one sonderbaren consens auch unserer räthe vnd Beamten vorwissens oder bewilligung vnder die Pressen zu nehmen noch in offenbaren truck auszufertigen.“

Georg Hans weist den Hans Schwindt an, dem Drucker nach Fertigstellung seine ganze Besoldung und den verdienten Lohn auszuhändigen. „Also ist unser begeren, wollest nach vollentem werk alle getruckten Exemplaria, deren Summe 800. sein sollen in deiner Verwarung nehmen vnnd dem vbrigen Bestandt für jeden bogen 2 gulden unsertwegen dem Trucker zahlen.“ Dem Frankfurter Rat schreibt Georg Hans, es handle sich alles um öffentlich bekannte Akten, die nur zusammengestellt wurden. Wenn der Rat die noch in seinem Verwahr befindlichen Drucke nicht freigebe, werde er Schadenersatzforderungen stellen. Es gehen weitere Briefe hin und her, bis dann der Rat am 20. März 1591 den Kontrahenten erklärt, dass er jetzt nicht mehr für den Fall zuständig sei. Alles weitere sollten sie direkt ausmachen.
Der Drucker hatte sein Geld, Hans Schwindt den Auftrag ausgeführt und ob dann die Drucke an die Öffentlichkeit kamen, bleibt offen. In Katalogen und Archiven gibt es keine Spur.

Johann Casimier und Wolfgang von Dahlberg
Die Bilder zeigen den Administrator der Kurpfalz, Johann Casimir, und den Mainzer Kurfürsten Wolfgang von Dahlberg, Landesherr der Grafschaft Königstein mit Vrsel

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